Die Gilderolle
Als im Jahre 1578 einige Bürger des Fleckens Neumünster „auf Bürgertag“ zusammenkamen, um eine Gilde auf gegenseitige Hilfe bei Brand, Not und Tod zu gründen, nannten sie ihre Gilde nach dem Tag der Gründung „Bürgergilde zu Neumünster“. Nicht immer wurde diese Bezeichnung beibehalten. In der Gilderolle von 1654 wird die Gilde – nachdem auch das Vogelschießen eingeführt worden war – auch „Bürger- und Schützengilde“ genannt. In der Gilderolle von 1747 heißt es „Neumünstersche Brand- und Totengilde“ und in der Confirmation dieser Rolle durch Großfürst Carl Peter Ulrich im Jahre 1751 steht „Neumünstersche Bürgergilde“. Dieser Name bleibt auch unter der dänischen Herrschaft. In der Gilderolle von 1836 steht „Bürger-Schützengilde“ und in den Confirmationen dieser Rolle durch Frederik VI. (1837), Christian VIII. (1843) und Frederik VII. (1835) wird die „Allgemeine Bürgergilde Neumünster“ bestätigt.
Nach der Eingliederung Schleswig-Holsteins als Provinz in den preußischen Staat im Jahre 1867 steht in der neuen Gilderolle: „Neumünstersche Bürger-Schützengilde“. Auch die Bezeichnungen „Burchards-Gilde“ und „Burchardi-Gilde“ tauchen in einzelnen Schriftstücken auf, erstmalig 1726 im Schreiben der großfürstlichen Rentkammer. In alten Kalendern steht der Name „Burchard“ für den 11. Oktober. Es ist also möglich, dass dieses der „Bürgertag“, also der Gründungstag der Bürgergilde ist, das ist aber bis heute nicht eindeutig geklärt.
Sicher sind 1578 bei der Gründung Regularien für die Gilde zusammengestellt worden. Eine Gilderolle wird allerdings nirgendwo erwähnt. Erst nach 75 Jahren, im Jahre 1654, stellten die Gildevorsteher Hans Wulf und Hans Dibbern die „Bestimmungen der Gilde“ zusammen und ließen diese – auch Gilderolle genannt – am 8. August von Herzog Friedrich III. auf Schloß Gottorf unterzeichnen. Die Gilderolle – bestehend aus elf Seiten, geschrieben auf Pergament – ist das älteste Dokument der Gilde und beginnt mit folgenden Worten:
Vor Allen und Jeden, weß Ehren, Würden und Standes, Geist- und Weltliches die sein möchten und insonderheit vor uns und unseren Nachkommen, tun wir, jetzige Vorsteher und sämtliche gemeine Gildebrüder in der ehrliebenden christlichen Compagnei und Gesellschaft der Bürgergilde zu Neumünster hiermit öffentlich kund und bekennen, daß im Namen der heiligen hochgelobten Dreyfaltigkeit wir unsere alte Gildegerechtigkeit und willkürliche Beliebung von weiland unseren seligen Vorfahren aus christlicher und brüderlichen Wohlmeinung anno Christi 1578 auf Bürgertag gestiftet, angefangen, bis heute vollführet und jährlich gehalten, nicht haben wollen vermindern oder schwächen, sondern dieselbe einhellig, brüderlich, beständig und unwiderruflich anno 1609 in den heiligen Pfingsten wiederum erneuert, verbessern, bekräftigen und in besserer Form als damals geschehen in dieser Rolle verfassen und beschreiben.
Der Zweck der Gilde wird anschließend genau festgelegt. Ausführlich werden Leistungen der Gildebrüder, unterteilt nach Not, Tod und Brand bestimmt.
Die Brandhilfe besteht für jeden Gildebruder oder jede Gildeschwester aus zwei Tagen Beistand, bei eigener Kost sowie Zahlung von einem halben Reichstaler an den Geschädigten (1618 führte der dänische König Christian IV. die Krone als Währungseinheit ein, in den Herzogtümern blieb es zu dieser Zeit jedoch beim alten Währungssystem: 1 Reichstaler = 48 Schilling).
Bei Todesfällen sind die Bestimmungen viel ausführlicher. Die gesamte Gilde gibt das letzte Geleit. Eingeteilte Gildebrüder übernehmen die Sarg- und Grablegung sowie das Läuten der Glocken. Selbst bei „Pest oder andere klebende Krankheit“ hat jeder Gildebruder, der an der Reihe ist, seinen Dienst zu verrichten.
Kranke Gildebrüder oder Gildeschwestern erhalten „alle Tage solange die Gilde währet ein Stübichen Bier“ (Das Stübichen war ein deutsches Flüssigkeitsmaß, insbesondere für Wein, Branntwein und Bier. Die Größe war regionsabhängig und dürfte in Neumünster etwa drei bis vier Litern entsprochen haben).
Die Leitung der Gilde haben vier Vorsteher, die bei Insubordination Strafen verhängen können. Aufgenommen werden kann jeder „unberüchtigte, ehrliche Nachbar“, wer hingegen „unleidlich und zänkisch“ ist, wird abgewiesen. Es genügt, wenn von einer Familie ein Mitglied pro Feuerstelle in der Gilde ist. Um aufgenommen zu werden, müssen zwei Gildebrüder als Bürgen benannt werden.
Das „Gildehalten“ findet jährlich am Dienstag in der Pfingstwoche nach einer morgendlichen Andacht in des Gildemeisters Haus statt. Die Männer versammeln sich um 12 Uhr, die Frauen um 14 Uhr.
Nun wird das Vogelschießen erwähnt. Wahrscheinlich haben die Schrecken des 30jährigen Krieges die Anregung gegeben, wiederkehrende Schießen zu veranstalten. Jeder Gildebruder hat mit seiner eigenen Büchse zu erscheinen, er kann sich aber durch seinen Sohn vertreten lassen, wenn er verhindert ist. Wer den Vogel abschießt, muss acht Schilling an die Gilde zahlen.
Es folgt eine Aufstellung über Ahndungen für schlechtes Benehmen beim Gildehalten und beim Schießen wie „Rumoren, Zanken, Hadern, Schreien, Balgen, Ringen, Fluchen sowie unflätiges, unzüchtiges lotterbübisches Benehmen, Würfel-, Karten- oder andere leichtfertige Spiele oder gar Bier vergeuden oder Geschirr entzwei werfen“.
Nach Abschluss der Gildetage werden die Unkosten errechnet und umgelegt. Wer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann durch ein 8-Männer-Kollegium gepfändet werden, vorher werden jedoch noch seine Bürgen angesprochen.
Die Gilderolle trägt auf der letzten Seite die Unterschrift und das Siegel Herzog Friedrichs III. und ist datiert vom 8. August 1654.